Quelle: Büro Tebroke
Seit 1963 wurden in Deutschland bereits über 135.000 Organe transplantiert. Die Zahl der Menschen, die derzeit auf der Warteliste für ein passendes Spenderorgan stehen, beläuft sich auf 10.000 Menschen. Im Jahr 2018 gab es hingegen lediglich 955 Organspenden. Alle Beteiligten möchten daher darauf hinwirken, die Zahl der Spendenwilligen signifikant zu erhöhen. Das ist die klare Zielsetzung aller derzeit im Bundestag behandelten Gesetzesvorschläge.
Im Folgenden wird die geltende deutsche Rechtslage skizziert und auch das europäische Ausland in den Blick genommen. Des Weiteren finden die zurzeit beratenen Gesetzesentwürfe Raum. Abschließend erfolgt eine persönliche Stellungnahme.
Derzeitige Regelungen
In Deutschland gilt derzeit die sogenannte Entscheidungslösung. Organe und Gewebe dürfen nur nach dem Hirntod und nur dann entnommen werden, wenn der Verstorbene zuvor – also zu Lebzeiten – dieser Entnahme zugestimmt hat. Fehlt es an einer solchen Zustimmung, können subsidiär die Angehörigen für diese Entscheidung herangezogen werden. Fehlt eine solchen Einwilligung, kommt eine Organspende nicht in Betracht. Darüber hinaus erhalten in Deutschland potentielle Spenderinnen und Spender regelmäßig betont neutrale und ergebnisoffene Informationen, um auf eine entsprechende Entscheidung hinzuwirken.
Im europäischen Ausland gelten vielerorts andere gesetzliche Regelungen. Die bloße Zustimmungslösung beschreibt jene Rechtsregel, bei der Organe und Gewebe nur entnommen werden können, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten zugestimmt hat. Diese ist in Europa in der skizzierten Reinform nirgends geltendes Recht. Unter der erweiterten Zustimmungslösung versteht man die Zustimmung der verstorbenen Person oder subsidiär eine Entscheidung durch nächste Angehörige oder eines von der verstorbenen Person beauftragten Bevollmächtigten. Eine solche Regelung gilt etwa in Großbritannien, den Niederlanden, Dänemark und Litauen. Die derzeitige Regelung in Deutschland stellt infolge der Informationsmaterialien eine Abwandlung der erweiterten Zustimmungslösung dar.
Unter dem Topos Widerspruchslösung wird eine Regelung verstanden, wonach Gewebe und Organe entnommen werden können, wenn die verstorbene Person zu Lebzeiten keinen Widerspruch erklärt hat. Eine solche Widerspruchserklärung kann schriftlich erfolgen und – je nach Ausgestaltung – in einem Widerspruchsregister geführt werden. Eine solche Regelung ist geltendes Recht beispielsweise in Spanien, Österreich, Italien und auch Schweden.
Zu beachten ist insoweit, dass bei Auslandsaufenthalten keine an der Staatsangehörigkeit orientierte Regelung gilt, sondern diejenige des Aufenthalts. Wenn eine Person folglich im Ausland verstirbt, dann wird sie nicht nach der Regelung ihres Heimatlandes, sondern nach der Regelung desjenigen Landes behandelt, in welchem sie verstorben ist.
Laufendes parlamentarisches Verfahren
Das derzeitige Gesetzgebungsverfahren ist frei von Fraktionsdisziplin ausgestaltet. Das ist ein besonderes parlamentarisches Verfahren, das insbesondere dann Anwendung findet, wenn die Trennungslinien nicht entlang einer parteipolitischen Positionierung verlaufen, sondern Kernfragen des Lebens im Raume stehen. Andere Beispiele sind etwa die Präimplantationstechnologie oder rechtspolitische Fragen rund um das Thema Sterbehilfe. Das derzeitige Verfahren um die Rechtsänderung der Entscheidungslösung ist zu trennen von dem bereits Anfang des Jahres abgeschlossenen Gesetzgebungsverfahren, welches das Recht der Transplantationsmedizin modifiziert hat. Insoweit wurden Regelungen erlassen, die eine bessere finanzielle Ausstattung der Kliniken und die rechtliche Handhabung von Organspenden zum Gegenstand hatten. Die Frage der Einwilligung in die Organspende wurde insoweit gar nicht adressiert.
Vorschlag Nr. 1: ‚Doppelte Widerspruchslösung’
Die Initiatoren dieses Gesetzesvorschlags möchten eine grundlegende Änderung des geltenden Rechts herbeiführen. Federführend haben diesen Vorschlag der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Karl Lauterbach vorgelegt. Der Entwurf trägt den amtlichen Titel ‚Entwurf eines Gesetzes zur Regelung der doppelte Widerspruchslösung im Transplantationsgesetz’ (BT-Drucks. 19/11096).
Künftig soll dem Entwurf zufolge jede Person als Organ- und Gewebespender gelten, insofern nicht explizit widersprochen worden ist. Die Entscheidung zugunsten eines Widerspruchs kann auch auf andere Personen übertragen werden. Von einer entsprechenden Spende sind diejenigen Menschen ausgeschlossen, die deren Wesen, Bedeutung und Tragweite nicht erkennen und ihren Willen nicht dementsprechend ausrichten können. Zudem soll ein Register geschaffen werden, in dem mögliche Widersprüche einheitlich geführt werden. Nach Verkündigung des Gesetzes sollen innerhalb von sechs Monaten alle melderechtlich erfassten Personen dreifach über die geänderte Rechtslage informiert werden.
Ein möglicher Widerspruch durch Angehörige ist nach dem Entwurf zukünftig ausgeschlossen. Dieser Entwurf hebt sich damit von vergleichbaren Regelungen in Österreich und Spanien ab. Der behandelnde Arzt, der die Organ- oder Gewebeentnahme durchführen soll, soll fortan dazu verpflichtet zu sein, zu überprüfen, ob eine gegenteilige Willensäußerung vorliegt. Ist dies nicht der Fall, so muss er nach dem Entwurf die nächsten Angehörigen befragen, ob ein schriftlicher Widerspruch vorliegt oder ein der Spende entgegenstehender Wille bekannt ist. Dieser Aspekt ist insoweit namensgebend.
Vorschlag Nr. 2: ‚Fortführung der Entscheidungslösung’
Dieser Entwurf trägt den amtlichen Titel ‚Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende’ (BT-Drucks. 19/11087). Er wurde fraktionsübergreifend unter besonderer Mitwirkung der Grünen-Co-Vorsitzenden Annalena Baerbock und dem CSU-Politiker Stefan Pilsinger ausgearbeitet.
Die Initiatoren dieses Gesetzesvorschlags plädieren für eine grds. Beibehaltung des derzeitigen Status. Im Vordergrund steht insoweit primär eine Intensivierung der Aufklärungs- und Informationsarbeit. Darüber hinaus soll für eine bessere Praktikabilität im Alltag ein Online-Register geschaffen werden, um Medizinerinnen und Medizinern im Falle des Falls einen vereinfachten Zugriff zu ermöglichen. Dieses Register soll beim Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information eingerichtet werden. Darüber hinaus dringt dieser Vorschlag auf eine Überarbeitung und regelmäßige Evaluierung der Informationsmaterialien.
Insbesondere zielt der Entwurf auf eine regelmäßige Auseinandersetzung mit der Materie ab. So sollen die Ausweisstellen des Bundes und der Länder bei der Beantragung von Pass- und Ausweisdokumenten entsprechende Aufklärungsunterlagen zur Verfügung stellen. Darüber hinaus sollen Hausärzte bei Bedarf alle zwei Jahre über eine mögliche Organ- oder Gewebespende beraten können. Eine solche Beratung hat jedoch ausweislich des Gesetzesvorschlags ergebnisoffen zu erfolgen und soll den direkten Hinweis zu beinhalten, dass gerade keine gesetzliche Verpflichtung besteht, sich zugunsten einer Spende zu erklären. Diese ärztliche Leistung soll zudem separiert abrechenbar sein.
Verfechter dieser Positionierung möchten vor allem die Neutralität der bisherigen Regelung beibehalten. Staatliche Stellen sollen sich einer abschließenden Bewertung, welche Entscheidung hinsichtlich der Organspende den Vorzug genießt, enthalten. Das bedeutet nach den Vorstellungen der Initiatoren nicht, dass von staatlicher Seite aus nicht auf eine höhere Spendenbereitschaft hingewirkt werden kann. Das ist erklärtes Ziel des Gesetzesvorschlags. Es soll jedoch lediglich verstärkt auf die Organspende als solche und auf die Möglichkeiten der Entscheidung aufmerksam gemacht werden.
Eigene Positionierung
Nach reiflicher Überlegung und einem intensiven Austausch, sowohl in der Familie als auch mit Kolleginnen und Kollegen aus unterschiedlichen Fraktionen sowie diversen Fachkreisen habe ich mich entschieden, den Entwurf der Entscheidungslösung zu unterstützen.
Auch ich sehe die Gefahr bei der Widerspruchslösung darin, dass die Zahl der Organspendewilligen nicht zunehmen, sondern vielmehr abnehmen wird. Die sinkende Zahl an spendewilligen Personen ist meiner Auffassung nach primär eine Folge des gesunkenen Vertrauens in die derzeitige Regelung. Die nicht nur zweifelhafte, sondern rechtswidrige Vergabe von Plätzen auf der Warteliste haben das Vertrauen in das Organspendesystem nachhaltig erschüttert. Mit der doppelten Widerspruchslösung von einer staatlich antizipierten Einwilligung auszugehen, dürfte viele mögliche Spender erst Recht abschrecken.
Schon rechtstechnisch ist meiner Auffassung nach Schweigen meistenteils eben gerade keine Zustimmung. Im Datenschutzrecht, im Medizinrecht und eigentlich in jedem Verbraucherschutzrecht bedarf es immer einer expliziten Einwilligung des Betroffenen, eine bloß mutmaßliche Einwilligung reicht eben gerade nicht aus. Wieso insoweit ausgerechnet für den Körper den postmortalen Persönlichkeitsschutz andere Regelungen gelten sollen, erschließt sich mir nicht.
Für mich stellt dieser Regelungsvorschlag die beste Sicherstellung einer freien Entscheidung der betroffenen Personen dar. Der Entwurf wahrt das Selbstbestimmungsrecht und von staatlicher Seite aus erfolgt keine Positionierung zugunsten oder zu Lasten einer Organspende. Semantisch beschreibt das Wort Organspende treffend den freiwilligen Akt der Zurverfügungstellung von eigenen Organen: Es ist eine Spende, also eine freiwillige Gabe. Der Staat sollte sich hier einer klaren Positionierung enthalten, wie sie jedoch von den Vertretern der sogenannten doppelten Widerspruchslösung propagiert wird.
Derzeit entscheiden zudem in fast 60 % der Fälle die Angehörigen und nicht die Betroffenen selbst über eine mögliche Organspende. Die nächsten Angehörigen sind damit das Rückgrat der Organspende. In dem Entwurf der Entscheidungslösung wird dieser Bedeutung adäquat Rechnung getragen, wohingegen der Entwurf der doppelten Widerspruchslösung die nahen Angehörigen explizit ausschließt. Gerade in diesen besonders schwierigen Situationen ist es für die Angehörigen jedoch wichtig, und sie sind meiner Auffassung nach auch am besten geeignet, die tatsächlichen Interessen der verstorbenen Person zu wahren.
Schluss
Ich bin optimistisch, dass der von mir unterstützte Entwurf schlussendlich eine Mehrheit im Plenum des Deutschen Bundestages finden wird. Gleichwohl werde ich selbstverständlich auch die Umsetzung der doppelten Widerspruchslösung mittragen, sollte es wider Erwarten hierzu kommen. Für mich hat dieser gesamte Gesetzgebungsprozess eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass unsere parlamentarische Demokratie lebt. Die Debatten hierzu waren öffentlich, fanden nicht nur im Plenum, sondern auch und gerade in der Zivilgesellschaft statt. Dieser Aspekt ist für mich besonders bedeutsam. Ich habe mich daher sehr gefreut, dass so viele Interessierte der Einladung des Evangelischen Arbeitskreises sowie des CDU-Kreisverbands Rhein-Berg gefolgt sind und wir uns mit fachlicher Expertise über diese wichtige Thematik austauschen konnten. Ich hoffe, dass dieser Diskurs dazu führen wird, dass mehr Personen sich nicht nur mit der Organspende auseinandersetzen, sondern ernsthaft in Erwägung ziehen, eine entsprechende Entscheidung auch zu treffen: Zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts, für die nötige Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte sowie – und das besonders – für ausreichend Klarheit für die Angehörigen in den schwersten Stunden.
Dr. Hermann-Josef Tebroke, MdB
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